Es gibt nicht viele Ruderer in Deutschland, die das Erlebnis der Teilnahme am Head of the Charles in Boston haben dürfen. Ich gehöre seit dem 21.10.2023 dazu. In einer Renngemeinschaft aus Honnef, Limburg, Mannheim, Essen und Offenbach gingen die Berliner (ich vom PRC-G, Reinhard Ellinghaus vom RC Tegel) als Ruderklub am Baldeneysee an den Start. Grand Master Eight (60–70), 28 Boote am Start. Insgesamt gibt es 2.598 Meldungen von 792 Vereinen, alle Bootsklassen sind vertreten, immer für Männer und Frauen, in allen erdenklichen Altersklassen, so kommt man locker auf eine Teilnehmerzahl von über 9.000 Ruderinnen und Ruderern. In unserem Rennen 2 Boote, die nicht aus Amerika waren, Upper Yarra aus Australien (Nr. 1) und wir, die Startnummer 25. Laut Sprecher sind alle Boote gespickt mit Weltmeistern, Olympiasiegern, amerikanischen Meistern usw. Also nicht, dass wir den Sprecher gehört hätten, die komplette Regatta, jedes einzelne Rennen, wird live im Fernsehen übertragen, ab Freitagmorgen bis Sonntagabend, auch auf YouTube gibt es einen Stream. Hinter der Eliot Bridge, die letzte Brücke vor dem Ziel, befindet sich eine etwa 600 m lange von Ständen und Zelten mit allen erdenklichen zum Rudern benötigten Utensilien gesäumte Uferpromenade. Kleidung, Ergometer, kostenlose Getränkeproben, Cox Boxen, Schlagzahluhren, Stände für Speisen und Getränke. Ein streng abgeteilter Bereich mit Einlasskontrolle in dem dann auch Bier und Wein ausgeschenkt werden. Man muss in Amerika über 21 sein für diese Getränke. Zumindest in der Öffentlichkeit. Der Sattelplatz ist aus Beton, mindestens 200 m breit und 60 m tief. Die Hänger stehen in zwei Reihen hintereinander, jeder an einem Truck befestigt. Nicht zu vergessen die etwa 100 mobilen Toilettenhäuschen, die jeden Tag vor Beginn geleert und gereinigt werden. Es gibt 5 An- und Ablege Stege, genannt Dock. Dazu noch die Stege der diversen, an der Strecke liegenden Clubs. Die Strecke selbst ist 4,8 Km lang, äußerst kurvig und sehr schwierig zu steuern. 7 Brücken müssen durchfahren werden. Die Strecke ist mit Bojen markiert und bei Verstößen gegen die Anordnungen der unendlich vielen am Ufer stehenden oder in Booten sitzenden Ordner gibt es einen Penalty in Form von Zeitstrafen. Im Startbereich befindet sich ein Viereck aus Bojen, um das man herumrudern muss, bis man vom Starter aufgerufen wird. Soweit die reinen Fakten.
Wie kommt man aber eigentlich dazu, beim HOCR zu starten? Bei mir begann es zum Fari Cup 2022, da stand ich nach der Siegerehrung mit einigen alten Gegnern und Freunden noch zusammen und plötzlich fragte mich ein Essener Ruderer, was ich denn von einem Start in Boston hielte. Ich hatte davon gehört und gelesen und war nicht der Meinung, man könne dort einfach so melden. Also sagte ich: klar, ich bin dabei. Aber tatsächlich kann man da einfach melden, wenn man sich an Fristen hält. Nun stand also die Zusage und konkret wurde es im Mai 2023. Der Achter war nach einigem hin und her komplett. Wie bei jeder Regatta ist es auch beim HOCR Pflicht, in einheitlicher Kleidung zu starten. Wie machen das aber 9 Leute aus 7 Vereinen? Sie fragen über mich bei der Firma Hempel nach und haben, schwupps die wupps, einheitliche Hemden. Natürlich mit Druck, eine Idee von Andi. Danke dafür von der gesamten Mannschaft, allen Begleitern und Organisatoren. Am 16.10 begann das Abenteuer von verschiedenen Flughäfen Deutschlands aus. Bei den Flügen hatten wir alle Hilfe vom Reisebüro Calypso, Andre Wittmann, aus Lichterfelde, einem alten Fußballkameraden von Hertha Zehlendorf. Wie heißt es so schön: Netzwerke nützen nur dem nichts, der keine hat! Wir flogen nach Newark in New Jersey, im dortigen Nereid Boat Club sollten wir unser Boot bekommen. Der Vorsitzende, ein aus Mannheim stammender Ruderer, der als Leistungsruderer auch mit Christoph Galandi vom BRC gerudert ist. Das Foto, wo ich unsere Clubflagge übergebe, zeigt den Head Coach vom Nereid, Zach Spitzer. Unser Achter war ein von der Werft Pocock (The Boys in the Boat) gebauter weißer Kunststoffachter. Am Dienstag und Mittwoch saßen wir dann die ersten Einheiten zusammen im Achter. Wir ruderten auf einem Kanal direkt neben einem viel befahrenen Highway. Der Mittwoch brachte dann zusätzlich noch den Gestank von in den Fluss abgelassenem Diesel in die Nasen und Lungen. Quartier hatten wir zunächst in Cape May am Delaware in zwei Ferienhäusern von Frankie, dem Vorsitzenden. Am Mittwoch dann in New Jersey im Hilton Appartement Hotel. Am Mittwochabend verabschiedeten wir uns mit einer Grillparty im Ruderclub von unseren Gastgebern, die wir natürlich dazu eingeladen haben. Hier entstand auch das Foto mit der Übergabe der Clubflagge. Dies taten übrigens alle, so dass Nereid jetzt 7 Flaggen mehr hat. In Amerika gibt es diese Tradition übrigens nicht. Donnerstag war trainingsfrei, die Fahrt nach Boston stand auf dem Programm. Über den Hudson ging es zum Charles River und zum Hotel in Quincy North. Was für ein Abstieg! 1 Queen Size Bett für zwei ausgewachsene Ruderer. Kein Fenster zum Öffnen, nur Klimaanlage. Nun gut, für 4 Nächte, das geht schon mal. Beim Frühstück dann die nächste Überraschung. Alles, wirklich alles, gab es in Einweg Verpackung und Geschirr. Plastik wohin das Auge schaut. So langsam stellte ich mir die Frage, wie wir deutschen es anstellen wollen bzw. müssen, die Welt zu retten, wenn sich andere einen Sch… darum kümmern. Nach dem Frühstück ging es zur Regattastrecke mit der U-Bahn. 2,15 € die Einzelfahrt, komplett elektronisch kontrollierter Zugang. Boot aufriggern, Riemen runter und los. Nun nicht ganz. Erstmal anstellen. Alle wollten trainieren. Von links nach rechts wurden wir geschickt, erinnerte an das Chaos bei Quer durch Berlin. Endlich auf dem Wasser dann das nächste Hindernis. Immer nur ein Boot konnte unter der Eliot Bridge hindurch Richtung Start rudern. Nochmal 35 Minuten. Aber dann …….. ist unser Steuerseil gerissen. Ein am Ufer stehender Ordner krempelte sich die Hosen hoch, lief in den Fluss, begutachtete den Schaden, ging an seine Werkzeugtasche, kam zurück ins Wasser und reparierte das Seil. Sensationell. Wir ruderten zum Start, fuhren die Strecke ab mit ein paar hohen Schlägen, der Kahn lief. Das Rennen konnte kommen. Am Sonnabend, dem 21.10., war der Start um 9:22 angesetzt, also 8:20 aufs Wasser. Bei einer guten Stunde Anfahrt also aufstehen um 6:00. Dieses Mal kein langes anstehen. Kein Stau vor der Brücke. Kein großartiges Warten am Start. Ein bis drei Runden um die Bojen, dann wurden wir aufgerufen. Fliegender Start. Relativ schnell gingen wir an einem vor uns gestartetem Boot vorbei mit hoher Frequenz. Vor uns dann die 21, wir setzten zum Überholen an, hinter uns flog die 27 heran. Es kam, wie es kommen musste, Blattsalat von zwei Booten unter der Brücke, die 27 war vorbei (siehe folgendes Foto), wir schnappten uns noch die 21 vor dem Ziel.

Von 28 gestarteten Booten belegten wir Platz 18 in 18:02 Minuten. Der Sieger benötigte 16:06 Minuten. Leider sind wir nicht innerhalb von 5 % zur Siegerzeit gelandet, so dass wir nicht automatisch für das nächste HOCR in 2024 gesetzt sind. Das ist zu verschmerzen. Kaum an Land setzte dann der Regen ein. Das war sehr schade, denn so konnten wir an der Promenade nicht wirklich Spaß finden. Die Rennanalyse fand dann im Veterans Club auf der anderen Uferseite an der Eliot Bridge bei Burger und Bier statt. Abendessen in einem Pub. Den Sonntag nutzten wir dann bei besserem Wetter zur Stadtbesichtigung von Boston, verbunden auch mit einer Hafenrundfahrt. Heike, Ellis Frau hatte sich dazu hervorragend vorbereitet. In einer Food Mall konnten wir, jeder für seinen Geschmack, ein ordentliches Mahl einnehmen. Am Montag nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns dann mehr oder weniger voneinander. Einige blieben noch in den USA, andere flogen nach Deutschland zurück.
Es war ein großartiges Erlebnis, mein Ruderer Netzwerk ist um einige Namen erweitert worden, ein teurer (0,5 L Bier in der Dose 10$ // Startgeld etwa 600 $) aber sehr ereignisreicher Spaß. Ganz herzlicher Dank geht an Nereid, allen voran Frankie Schäfer für das Besorgen des Bootes und der Unterkunft, Zach Spitzer für die Trainingsbegleitung mit Videoaufnahme, Briant Cunha für alle anderen Organisationen. Ohne diese drei wäre das ganze gar nicht machbar gewesen. Danke auch an die zusammengewürfelte Mannschaft.
Auf dem Foto mit unserem Achter sind: Steuerfrau Susanne Willsch, Schlagmann Christoph Rademacher (Honnef), Konter Rainer Fiedler (Mannheim), Volker Willsch (Essen), Kurt (PRC-G), Reinhard Ellinghaus (RC Tegel), Jochen Förster (Limburg), Jürgen Böning (Essen), Manfred Strathaus (Offenbach). Unser Durchschnittsalter ist 64,25.
Hinweis: Der Bericht enthält nur das Wesentliche. Zu erzählen gibt es noch viel mehr. Das besagen auch die über 200 Fotos die zusammengekommen sind. Fragt mich einfach!!

Kurt Naujoks