Welch ein Wunder – Eine nachdenkliche Betrachtung von Wolfgang Grädler
…auch für die Jüngeren unter uns
Die Zeit verrinnt wie im Fluge und als Erinnerung an die bis 1989 nicht mögliche, aber heute als selbstverständlich empfundene „Wannsee-Umfahrt-Ruderstrecke“ hier Erinnerungen unseres damaligen Trainingsmannes und Trainers Wolfgang Grädler an diese durch 400 m DDR-Grenzanlagen bei Babelsberg nicht mögliche Umfahrt.
Der Start erfolgte überwiegend vom Bootshaus des PRC-G aus in Richtung Griebnitzsee. Über die insbesondere an den Wochenenden sehr stark von Motorbooten befahrenen Seen Grosser und Kleiner Wannsee, Pohlesee und Stölpchensee ruderten wir bis Anfang Griebnitzsee. Damals gab es in West- Berlin ca. 50 000 Motorboote, die sich aufgrund des „eingemauerten“ West-Berlin nur auf den zugehörigen Gewässern tummeln konnten. Daher mussten wir am Wochenende immer sehr früh trainieren und bis ca. 9 Uhr wieder zurück sein, um diesem Chaos auf dem Wasser auszuweichen.
Griebnitzsee-Anfang konnte man sich dann entscheiden: Entweder zuerst Richtung Osten in den Teltowkanal bis zur Grenze bei Albrechts Teerofen oder zuerst geradeaus bis zur Grenze bei Griebnitzsee Ende. Im Fahrtenbuch waren das dann 14km (statt Albrechts Teerofen wurde immer Kremnitzbrücke eingetragen) bzw. 16 km (großzügig gerechnet!), beide Grenzpunkte hintereinander gerudert ergaben stolze 20km (!).
Im Teltow-Kanal bei Albrechts Teerofen war der Teltow-Kanal bereits mittig mit Grenzbojen geteilt und ein Weiterfahren verboten. Hier gab es 1965 einen tödlichen Grenzzwischenfall, als Grenz-Soldaten der DDR zwei West-Berliner Kanuten, die ahnungslos die „falsche“ Hälfte des Teltow-Kanals befuhren, mit Schüssen den einen Kanuten tödlich verletzten und den anderen schwerstbehindert überleben ließen. In dieser “Teltow-Kanal-Sackgasse“ war zum Glück kaum Schiffsverkehr, so dass wir Trainierenden hier nach Zeit und mit Funk- oder Fahnen-Signalen unsere 500m- und 1000m-Meßstrecken bis zu 8x durchruderten (500 m).
In Richtung Griebnitzsee Ende war auch der Griebnitzsee nach ca. 300 m halbseitig DDR-Gebiet und durch Metall-Gitterzäune und doppelte Grenzbojen (DDR- und West-Berliner-Bojen) geteilt.
Hier gab es häufig ein „Katz und Maus-Spiel“: Die DDR-Grenzboote auf der DDR-Seite machten sich meist einen Spaß daraus, die auf dem Griebnitzsee trainierenden Ruderboote mit hohem Wellenschlag zu „ärgern“. Auch entsprechende Zurufe oder Gesten zur Beschwichtigung von Trainern oder Ruderern blieben weitgehend wirkungslos!
Um die See-Ecke bei Griebnitzsee-Mitte konnten immerhin 2x 3min Intervalle gerudert werden.
Darüber hinaus war der gesamte DDR-Uferstreifen mit einer 3 m hohen Mauer hermetisch abgeteilt. Über die öffentliche Nutzung des Griebnitzsee-Ufer-Grenzposten-Weges wird heute immer noch zwischen den Grundstücks-Eigentümern und der Stadt Potsdam gestritten. Jürgen Langer (Packer) verblüffte als Gig-Einer-Ruderer immer wieder mit Eintragungen im Fahrtenbuch wie: 2x Griebnitzsee Mitte + 2x Kremnitzbrücke : Das waren immerhin 30km ! Manch einer meinte, das wäre Rudern wie im Hamster-Laufrad.
Starteten wir vom PRC-G-Bootshaus Richtung Glienicker Brücke, was aufgrund der vielen Motorboote, Dampfer und der Westwind-Empfindlichkeit relativ selten vorkam, konnten wir auch nur bis kurz hinter die Glienicker Brücke rudern, da dort die DDR-Grenze mittig im Glienicker See und direkt vor dem Teltow-Kanal in Höhe Maschinenhaus Babelsberg verlief. Ruderten wir um die Pfaueninsel herum, begann die DDR-Grenze bereits mittig die Havel auf Höhe der Landzunge hinter der „Meierei“ zu teilen. Dort waren wieder die bekannten doppelten Bojenreihen ausgelegt, die manchmal bei ungesteuerten Booten Anlass für „nicht geplante Berührungen“ waren. Einige Experten meinten, dass es sich auch teilweise um die Spezies von sog. „Spring-Bojen“ handelt, die mal hier mal da plötzlich auftauchten!
Absoluter „Grenz-Bojen-Höhepunkt“ war die Grenzziehung bei Moorlake, wo die Grenze sich sehr spitz in die Moorlake-Bucht erstreckte und normalerweise an ein flüssiges „Durchrudern“ dieser Engstelle nicht zu denken war. Manch ein Trainingsmann hat trotzdem diese Grenzspitze kurzzeitig auf DDR-Gebiet geradeaus durchrudert. Anfänglich wurden Boote und Ruderer als „Grenzverletzer und Provokateure“ von den DDR-Grenzbooten aufgebracht und über Potsdam wieder nach West-Berlin entlassen. Später war dies anscheinend der DDR zu mühsam und das Durchfahren des kleinen Zipfels wurde toleriert. Auch war der gesamte DDR-Uferstreifen wiederum mit einer 3 m hohen Mauer abgeteilt.
Die nunmehr wunderhübsch renovierte Sacrower Heilandskirche war eingemauert und dem Verfall preisgegeben: Aus dem Dach wuchsen Bäume und die Ufermauer bröckelte zusehends.
Die DDR-Grenze teilte den Jungfernsee ebenso wie die Glienicker Brücke mittig und ließ nur einen Teil des dahinter liegenden Glienicker Sees für Boote aus West-Berlin zum Befahren zu.
Dort war dann der Wendepunkt.
Das Schloss Babelsberg wie auch das direkt am Ufer liegende Maschinenhaus und die Gaststätte „Bürger-Bräu“ waren dem Verfall preisgegeben und mit Gitterzäunen und hohen Mauern abgeteilt.
Besonders bedrückend waren die direkt am Ufer des Schlosses Babelsberg installierten „Hunde-Laufanlagen“, die Flüchtende aufhalten sollten.
Das Geheul der dort an langen Leinen angeketteten, halb verhungerten Schäferhunde war oft zu hören.
Fazit:
Welch ein Wunder, dass wir nun seit mehr als 35 Jahren die Wannsee-Umfahrt ungestört in voller Schönheit der Natur vorbei an 4 Schlössern und 2 Kirchen mit Glockenspiel erleben dürfen.
Weiterhin viel Freude beim Rudersport wünscht Euch
Wolfgang Grädler